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Eine Zeitzeugin berichtet und warnt
Vortrag: Die 90 Jahre alte Irmgard Heydorn informiert in Weiterstadt über ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten
WEITERSTADT. „Ich bin fassungslos, dass es heute Menschen gibt, die Hitler verehren und die Gräueltaten des Naziregimes nicht wahrhaben wollen“, leitete die ehemalige Widerstandskämpferin Irmgard Heydorn (90) ihren Bericht über die Zeit von 1933 bis 1945 ein. Das sei in vielen Fällen eine Folge von Versäumnissen von Eltern und teilweise auch von Lehrern. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Weiterstadt, Friedrich Moter, und die Albrecht-Dürer-Schule hatten gemeinsam die betagte Zeitzeugin eingeladen, damit sie über ihre Tätigkeit als Widerstandskämpferin vor Schülern und interessierten Bürgern berichtete.
Mit klarer, starker Stimme schilderte die zierliche Dame, wie ihr liberal sozialistisch geprägtes Elternhaus ihrem späteren Lebensweg Richtung gegeben habe. Vor allem an die Schüler gerichtet verdeutlichte sie ihre Eindrücke und Empfindungen während ihrer Schulzeit, als immer mehr jüdische Schüler sich verabschieden mussten, weil sie mit ihren Eltern in die Emigration gingen. Sie redete über die seit 1933 einsetzenden Veränderungen und Bedrohungen. Sie wollte studieren, aber da sie den damals vorgeschriebenen Arbeitsdienst verweigerte, war ihr dies nicht möglich.
Heydorn gehörte dem sozialdemokratischen Jugendbund an und kam dadurch in Kontakt zum „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK). Mit einer kleinen Gruppe von Freunden versuchte sie gegen die Nationalsozialisten zu arbeiten, legte heimlich Flugblätter ab, mit denen sie die Bevölkerung aufzuklären hoffte. An der Unterseite von Koffern hatten sie und ihre Mitstreiter Stempel angebracht, die auf der Straße gegen Hitler gerichtete Abdrücke hinterließen, oder sie warnten Leute, denen die Verhaftung drohte.
„Als ab 1939 die Überwachung immer schärfer wurde, konnten wir nur noch sabotieren“, sagte die Zeitzeugin. Zum Beispiel gaben sie Informationen an die Kriegsgegner weiter, wo die geplante Wunderwaffe gebaut werden sollte. Dabei sei sie oft in Gewissenskonflikte gekommen, da durch die Bombardierung auch unschuldige Menschen ums Leben gekommen seien. „Aber als die Bomben fielen, habe ich gedacht, dass der Krieg schneller zu Ende gehen würde.“
Nach der fast zweistündigen freien Rede über ihre Aktionen, Hoffnungen und Enttäuschungen beantworte die Seniorin Fragen der Schüler. Ob man im Widerstand ein normales Leben führen konnte, wollte ein Schüler wissen. „Natürlich habe ich auch Angst gehabt, ich war ja noch jung, aber das Leben, das ich führte, empfand ich als normal“, antwortete sie. Wie sie das alles habe durchstehen können? „Ich konnte es, weil ich die Vorstellung von einer besseren Welt hatte.“ In Bezug auf die fehlgeschlagenen Attentate auf Hitler sagte Irmgard Heydorn : „Heute glaube ich nicht, dass sein Tod zu diesem Zeitpunkt noch etwas verändert hätte, da wäre ein anderer an seine Stelle getreten. Aber wenn sich die Leute schon früher gegen die Nazis gewehrt hätten, wäre es nicht soweit gekommen.“
Damit leitete sie zum DGB-Sekretär Horst Raupp über, der über die Methoden informierte, mit denen die Neonazis junge Menschen zunächst mit linkem Gedankengut köderten und erst später ihr wahres Gesicht zeigten. Er zeigte auf, mit welchen Aktivitäten sich Bürger zur Wehr setzen und „braune“ Aktionen verhindern könnten.
wgf
27.11.2006

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